Wie passen Rechtschreibung und kreatives Schreiben zusammen? In jedem meiner Schreibworkshops für Kinder und Jugendliche verkünde ich ganz am Anfang die wichtigsten Regeln, die in diesem Workshop gelten. Wenn ich die allerwichtigste nenne, „Rechtschreibung und Grammatik spielen hier eine Rolle“, schallt mir jedes Mal ein kollektiver Seufzer der Erleichterung entgegen. Impact-Site-Verification: 0cce207e-209d-49d0-b026-555626f8eb3a
In meinem allerersten Workshop mit einer Schulklasse habe ich ebendiese Regel auch verkündet, woraufhin die Deutschlehrerin mir sofort verbal an die Gurgel sprang. Dabei ist es eigentlich so einfach: Hier entsteht eine erste Textfassung. Wir kennen die Geschichte, die wir schreiben, selbst noch nicht und müssen uns ganz auf den Schreibfluss konzentrieren, um unsere Ideen zu erhaschen. Warum sollten wir uns dann mit der korrekten Rechtschreibung aufhalten? Es gibt gute Gründe, die dagegensprechen.
Mit Lob statt Tadel die Motivation stärken
Sie ist nicht der wichtigste Grund, aber natürlich spielt dabei auch die Motivation eine Rolle. Wenn wir etwas hergestellt haben und es jemandem stolz präsentieren und derjenige uns dann sofort auf die kleinen Fehler hinweist, die wir gemacht haben, dann ist das einfach nur frustrierend und hemmt uns beim nächsten Mal von vornherein.
Die Vorstellung von richtig und falsch lösen
In der Schule werden wir darauf trainiert, in richtig und falsch zu unterscheiden. Es gibt richtige Lösungen, korrekt ausgeführte Aufgaben und es gibt Fehler, für die wir abgestraft werden. Sobald wir etwas Künstlerisch-kreatives unternehmen, ist diese Programmierung fatal. Sie hindert uns daran, über einen sehr eng gesteckten Rahmen hinauszugehen, uns womöglich selbst zu überraschen.
Es existiert auch einfach kein Richtig oder Falsch, wenn es darum geht, eine Geschichte zu erzählen; es gibt nur mehr oder weniger effektive Wege, um unsere Vorstellung in die Leserköpfe zu projizieren. In meinen Workshops möchte ich mich so weit wie möglich von diesem schwarz-weißen Richtig-Falsch-Setting der Schule entfernen, damit eine freie Entfaltung der Geschichten stattfinden kann.
Der Schreibflow braucht Fokussierung
Wir können sowieso nicht gleichzeitig unserer sich entstehenden Geschichte folgen und über die richtige Rechtschreibung nachdenken. Das ist unmöglich, denn unser Gehirn ist so beschaffen, dass es immer nur eine bewusste Tätigkeit ausführen kann und nicht zwei gleichzeitig. Also haben wir die Wahl, uns entweder auf die Geschichte zu konzentrieren, um sie so lebendig, mitreißend und spannend zu schreiben, wie es uns nur möglich ist, oder … wir schreiben jedes Wort möglichst richtig.
Wenn wir beides versuchen, passiert das eben nicht gleichzeitig, sondern wir springen in Wahrheit immer hin und her. Das hat zur Folge, dass wir nicht in den Schreibflow geraten können, in dem wir die richtig guten Ideen haben und die größte Freude am Schreiben erleben.
Wenn Eltern also nicht nur die selbst geschriebene Geschichte bewundern, sondern auch Fehler korrigieren, wenn Lehrkräfte darauf bestehen, dass unter jeder geschriebenen Zeile eine Zeile frei bleibt für die Korrektur, dann errichten sie unabsichtlich Schwierigkeiten für die Kinder und mindern die Qualität (und die Anzahl) zukünftiger Geschichten.
Schreiben und überarbeiten trennen
Natürlich ist es auch wichtig, die Rechtschreibung zu lernen, aber bitte nicht während des kreativen Schreibens. Der Schreibprozess gerät oft ins Stocken, weil Autor*innen das Schreiben und Überarbeiten vermischen. Zum Überarbeiten gehört zwar noch viel mehr als die Rechtschreibung, doch wenn wir Kinder und Jugendliche (oder uns selbst) darauf trainieren, bitte korrekt zu schreiben, bringen wir ihnen (und uns) von Anfang an bei, diese Schreibprozessphasen nicht zu trennen.
Rechtschreibfehler sind Erwachsenen peinlich
Das alles gilt natürlich auch für Erwachsene, aber für viele stellt die Rechtschreibung eine noch größere Hürde dar, weil sie sich nicht blamieren wollen. In Facebook-Gruppen liest man immer wieder von angehenden Autor*innen die Frage, ob es denn überhaupt möglich wäre, ein Buch zu schreiben bzw. zu veröffentlichen, obwohl sie Probleme mit der Rechtschreibung haben.
Interessanterweise gibt es berühmte Autor*innen mit legendär schlechter Rechtschreibung. Scott F. Fitzgerald („Der große Gatsby“) hat beispielsweise in seinen zahlreichen Briefen unter anderem immer wieder den Namen seines Freundes Hemingway auf alle möglichen Arten falsch geschrieben.
Tools für die Rechtschreibkorrektur
Für uns heute gibt es Hilfsmittel, die Fitzgerald noch nicht hatte. Wir können auf maschinelle Unterstützung zurückgreifen und den Duden Korrektor nutzen oder das kostenlose LanguageTool. Beide werden nicht alle Fehler finden, für ein erstes Aufräumen sind sie jedoch gut geeignet.
Etwas fies ist, dass zum Beispiel in der Rechtschreibkorrektur von Word manche Fehler nur als Hinweis angezeigt werden und der Mensch vor dem Bildschirm entscheiden muss, was denn nun richtig ist. Es ist etwas mühsam, jedem einzelnen Hinweis nachzugehen und es scheint ein menschliches Phänomen zu sein, dass wir nachgeschlagene Wörter sofort wieder vergessen, aber wenn man sich häufige Fehler und ihre Lösung auf einen Zettel notiert, lernt man irgendwann auch dazu. Das LanguageTool hilft übrigens bei Fehlern mit einer eingeblendeten Erklärung weiter.
Menschliche Hilfe bei der Rechtschreibkorrektur
Neben oder nach der maschinellen Hilfe gibt es auch die Möglichkeit, Freunde und andere Betaleser*innen einzuspannen, um Fehler aufzuspüren.
Und schließlich kann man das Problem mit professioneller Hilfe lösen lassen, indem man ein Korrektorat beauftragt. Im Gegensatz zum Lektorat wird dabei nicht der Inhalt des Manuskripts begutachtet, sondern nur Rechtschreibung und Grammatik; deswegen ist ein Korrektorat auch günstiger zu bekommen. Für ein komplettes Manuskript kann das Korrektorat trotzdem so teuer werden, dass nicht jede*r es sich leisten kann.
Allerdings ist es für Menschen, die einen Verlag suchen, auch nicht notwendig, ein komplettes Manuskript fehlerfrei abzuliefern. Schließlich gehört es zur Verlagsleistung für das Lektorat und Korrektorat zu sorgen. Deswegen kann man den günstigeren Weg wählen und nur das Exposé und die Leseprobe korrigieren lassen, um so einen professionellen ersten Eindruck zu hinterlassen.
Selfpublisher müssen sich wie immer entscheiden, wie viel Unterstützung sie brauchen und wie viel sie investieren wollen und können. Egal, welchen Weg man wählt, das Ziel sollte doch immer darin bestehen, einen möglichst fehlerfreien Text zu präsentieren, aber auch nicht auf Perfektion zu beharren und dadurch womöglich niemals zu veröffentlichen. Schließlich sind auch Verlagsbücher nicht frei von Fehlern.
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